Ob wir ein Verhalten stärker oder weniger zeigen, hängt nicht nur davon ab, was dem Verhalten voraus geht (klassisches Konditionieren) bzw. davon, was dem Verhalten folgt (operantes Konditionieren). Auch soziale Aspekte spielen eine Rolle.
Die Theorie, die genau diese ins Rampenlicht rückt, ist die soziale Lerntheorie, welche auf Albert Bandura zurückgeht. Sie ist gleichermaßen unter dem Begriff „Modelllernen“ oder „Nachahmungslernen“ bekannt. Entscheidend ist hier, wie die Bezeichnungen vermuten lassen, die Beobachtung eines Modells, eines Vorbildes. Vorbilder müssen dabei nicht unbedingt Superhelden oder Stars sein. Auch jemand, der uns im Alltag begegnet, kann als ein Verhaltensmodell dienen.
Tatsächlich erklärt die soziale Lerntheorie nicht nur das vermehrte oder verringerte Auftreten eines Verhaltens, das ein Lebewesen ohnehin zu seinem Verhaltensrepertoire zählt, sondern darüber hinaus auch das Erlernen gänzlich neuer Verhaltensweisen.

Was passiert nun, wenn eine Person ein Modell beobachtet? Es mag trivial klingen, doch die Grundvoraussetzung des Lernens am Modell liegt darin, dass dem Vorbild Aufmerksamkeit geschenkt, es beachtet wird. Das auf diese Weise beobachtete Verhalten muss sich im Anschluss gemerkt, also im Gedächtnis der Person abgespeichert werden. In der Reproduktionsphase wird das Verhalten schließlich wieder erinnert sowie motorisch umgesetzt. Ob es zur Umsetzung kommt, hängt wiederum davon ab, wie motiviert die Person ist, das Verhalten zu zeigen. An dieser Stelle sind die Konsequenzen entscheidend, die die Person bei der Ausführung des Verhaltens erwartet. Die Konsequenzen hat sie zuvor ebenfalls am Modell beobachtet, z.B., ob das Verhalten von Erfolg gekrönt war.

Kurz gesagt, der Lernprozess lässt sich in vier aufeinander aufbauende Phasen zerlegen1:

  • Aufmerksamkeit
  • Behalten
  • Reproduktion
  • Motivation

Beim Nachahmungslernen können wir jedoch nicht nur Lernphasen sondern ebenfalls folgende Lerneffekte unterscheiden2:

  • den Beobachtungslerneffekt
  • hemmende oder enthemmende Effekte
  • reaktionserleichternde Effekte

Der Beobachtungslerneffekt beschreibt das eingangs erwähnte Erlernen gänzlich neuer Verhaltensweisen. Die Beobachtung des/der Lernenden bestimmen jedoch auch, ob die Hemmschwelle, ein Verhalten zu zeigen hinab oder herauf gesetzt wird. Erzielt das Modell eine Belohnung oder resultieren keine negativen Konsequenzen, wird das beobachtete Verhalten mit höherer Wahrscheinlichkeit von dem/der Beobachtenden ausgeführt. Das Gegenteil ist der Fall, wenn das Modell negative Folgen seiner Handlungen offenkundig zu spüren bekommt. Gleichzeitig erhält die beobachtende Person Hinweise darauf, wann welche Reaktion im sozialen Kontext günstig ist. Also welches Verhalten vom jeweiligen sozialen Umfeld innerhalb der Situation als angemessen oder unangemessen bewertet wird. Wir sprechen von reaktionserleichternden Effekten.

Literaturverzeichnis

1 z.B. Rinck, M. & Becker, E. (2006). Lernpsychologische Grundlagen. In H.-U. Wittchen (Hrsg.), Klinische Psychologie & Psychotherapie (Springer-Lehrbuch : Bachelor, Master, S. 87–106). Heidelberg: Springer.
2 z.B. Siegl, J. & Reinecker, H. (2007). Verhaltenstherapeutische Interventionen. In E. Leibing (Hrsg.), Verhaltenstherapie (Lehrbuch der Psychotherapie für die Ausbildung zur/zum Psychologischen PsychotherapeutIn und für die ärztliche Weiterbildung, Bd. 3, 4. Aufl., S. 123–156). München: CIP-Medien.