Manja mag keine Situationen, in denen sie vor anderen sprechen soll. Nun sieht sie sich gezwungen, einen Vortrag für ihr Studium zu halten. Ihre größte Angst besteht darin, sich vor dem Kurs lächerlich zu machen, eine komische Außenwirkung zu haben. Während Manja sich auf ihr Referat vorbereitet, sagt sie sich immer wieder, dass das alles nur schief gehen kann und sie diese Situation mit Sicherheit bloßstellen wird. Tag X ist gekommen. Manja ist rein objektiv gut vorbereitet, stirbt innerlich jedoch nahezu vor Nervosität. Das Adrenalin rauscht nur so durch ihren Körper. Als sie vor den Kurs tritt, lässt sie vor Aufregung ihre Notizzettel fallen, die sie nun wieder mühsam vom Boden aufklauben muss. Während sie ihre Materialien zusammen sucht, denkt sie sich: „Ich wusste, dass es so kommt. Der Vortrag hat noch nicht einmal angefangen und ich mache mich schon zum Gespött der ganzen Hochschule!“. Durch diesen Gedankengang befeuert, steigt Manjas Nervosität immer mehr an. Sie stockt oft beim Sprechen, räuspert sich, weiß nicht wohin mit ihren Händen, verliert den Faden. Zu guter Letzt wirft Manja aus Versehen ein Wasserglas vom Rednerpult, als sie zwischendurch ihre Kehle benetzen möchte. Da Manjas gesamter Auftritt dermaßen von ihrer Aufregung bestimmt wird, müssen einige ihrer KommilitonInnen an diesem Punkt über die – von außen betrachtet – nahezu karikierte Szenerie schmunzeln. In dem Moment schießt Manja durch den Kopf: „Ich wusste es doch, dass ich mich lächerlich machen werde!“ und sie stürmt vor Scham errötet aus dem Seminarraum. Manja war das Opfer einer selbsterfüllenden Prophezeiung.


Manja ging felsenfest davon aus, dass sie sich blamieren würde. Deshalb änderte sich unbewusst ihr Verhalten, wodurch sie die Reaktion ihrer KommilitonInnen erzeugte. Durch diese Reaktion glaubt Manja nun, sie habe von Anfang an Recht gehabt.

Die selbsterfüllende Prophezeiung funktioniert auch auf positive Art und Weise. In einem unter Psychologen recht bekannten Experiment von Robert Rosenthal und Lenore Jacobson1 wurde ihr Einfluss im Schulkontext untersucht. Im Rahmen der Studie teilten die Forscher den Lehrern einer Grundschule mit, dass einige Kinder ihre Intelligenz stärker entwickeln würden als andere. In Wahrheit jedoch, war dies nicht der Fall. Sie unterschieden sich vom Intellekt her nicht von ihren Mitschülern und würden dies prognostisch auch nicht tun. Am Ende der Studie zeigte sich jedoch, dass die willkürlich als intelligenter eingestuften Schüler nun auch bessere Schulleistungen erbrachten. Ohne es zu bemerken hatten die Lehrer diese Schüler im Unterricht stärker gefördert, indem sie ihnen z.B. häufiger Rückmeldungen über ihre Leistungen gaben, wodurch ihre ursprüngliche Hypothese bestätigt wurde.


Bezieht sie sich auf psychologische Experimente, wird sie als Rosenthal- oder Versuchsleiter-Effekt bezeichnet.

Die selbsterfüllende Prophezeiung ist übrigens eine kognitive Verzerrung, die eng im Zusammenhang mit der Bestätigungstendenz steht2. Auf Grund der spezifischen Annahme, durch die wir an eine Sache herantreten, suchen wir (unbewusst) nach Bestätigung für diesen Glauben. Und ändern ebenso wenig bewusst unser Verhalten3. Wie bei den meisten kognitiven Verzerrungen muss man sich also ganz schön anstrengen, um sie zu entdecken.

Literaturverzeichnis

11976; zitiert nach Sharot, T. (2014). Das optimistische Gehirn. Warum wir nicht anders können, als positiv zu denken. Berlin: Springer Spektrum.
2) Nickerson, R. S. (1998). Confirmation Bias: A Ubiquitous Phenomenon in Many Guises. Review of General Psychology 2 (2), 175–220. doi:10.1037/1089-2680.2.2.175
3) Morschitzky, H. (2009). Angststörungen. Diagnostik, Konzepte, Therapie, Selbsthilfe (4. Aufl.). Vienna: Springer-Verlag.