Die Stressforschung beschäftigt sich schon seit geraumer Zeit damit, wie Stress entsteht, was ihn aufrecht erhält und wie man mit ihm umgehen kann. So haben sich immer wieder neue Modelle entwickelt, die versuchen, diese Inhalte zu beschreiben. Eines jener Modelle ist das transaktionale Stressmodell, das von Lazarus und Folkman postuliert wurde. Hierbei steht die Wechselwirkung (Transaktion) zwischen Person und Umwelt – genauer: der Situation – im Vordergrund (Zapf & Semmer, 2004). Reize aus der Umwelt werden von uns wahrgenommen und anschließend bewertet. Diesem Prozess, bei dem wir uns zur Situation ins Verhältnis setzen, kommt eine hohe Bedeutung zu. Dabei wird innerhalb des Modells zwischen primärer Bewertung, sekundärer Bewertung und Neubewertung unterschieden (Kaluza, 2011; Reif & Spieß, 2018).
Primäre Bewertung
Hier betrachtet die Person, die einer bestimmten Situation oder einem Reiz ausgesetzt ist, ihr persönliches Wohlbefinden und schätzt die Situation als irrelevant, günstig oder stressend ein. Dabei wird abgeglichen, wie ein Zustand sein soll bzw. gewünscht ist. Dies kann sich auf soziale Normen oder bestimmte Grundbedürfnisse, wie z.B. das Bedürfnis nach Anerkennung beziehen. Dieser Soll-Wert wird mit dem aktuellen Zustand verglichen. Im Falle dessen, dass der Soll-Ist-Vergleich als irrelevant oder günstig eingestuft wird, ist keine Handlung notwendig. Wird die Lage jedoch als stressend bewertet, liegt also eine Diskrepanz zwischen dem gewünschten und dem aktuellen Wert vor, wird eine Reaktion erforderlich, um dieses Missverhältnis auszugleichen (Kaluza, 2011; Zapf & Semmer, 2004).
Wenn es zur Einschätzung „stressend“ kommt, lassen sich auch hier drei weitere Möglichkeiten unterscheiden. Das Individuum kann die Situation zum einen als Schaden oder Verlust ansehen. Hier ist bereits eine Schädigung eingetreten, indem beispielsweise das Selbstwertgefühl verletzt wurde. Dies geht in der Regel mit Emotionen wie Hilflosigkeit, Wut, Trauer u.a. einher. Zum anderen kann die Person jedoch auch eine Bedrohung wahrnehmen, d.h. sie erwartet einen Schaden oder Verlust. Das führt meist zu Gefühlen von Angst. Die dritte Variante liegt darin, dass das Individuum die Situation als Herausforderung betrachtet. Zwar ist es möglich, dass ein Verlust bzw. Schaden eintritt, allerdings werden hier durchaus Chancen der erfolgreichen Bewältigung gesehen, die eventuell sogar eine Kompetenzentwicklung mit sich führen. Die Folgen können also positiv sein, was wiederum positive Gefühle erzeugt (Kaluza, 2011).
Sekundäre Bewertung
Die Person schätzt an dieser Stelle ein, ob sie einerseits über ausreichende Fähigkeiten und Kompetenzen (interne Ressourcen) verfügt und welche situativen Bewältigungsmöglichkeiten (externe Ressourcen) es gibt. In diese Bewertung spielen Erfahrungen hinein, die beispielsweise Optimismus erzeugen können, wenn eine ähnliche Situation in der Vergangenheit schon einmal erfolgreich gemeistert wurde (Kaluza, 2011; Zapf & Semmer, 2004).
Lassen Sie sich nicht durch die Bezeichnungen primär und sekundär in die Irre führen. Beide Bewertungsprozesse laufen zeitgleich ab und beeinflussen sich gegenseitig (Kaluza, 2011).
Neubewertung
Die Neubewertung lässt sich als dynamische Feedbackschleife auffassen, die neue Informationen in die Bewertung der aktuellen Situation integriert. Durch sie können sich sowohl primäre als auch sekundäre Bewertung verändern (Kaluza, 2011; Reif & Spieß, 2018).
Zusammengefasst ist Stress also etwas höchst individuelles, da er von der subjektiven Situationsbewertung sowie den jeweiligen Bewältigungsfähigkeiten und äußeren Ressourcen abhängt. Übersteigen die Anforderungen die beiden letztgenannten, wird Stress empfunden. Stress ist hier nichts statisches, sondern ein Prozess, der in der Regel nicht bewusst abläuft. Allerdings ist es möglich, sich diese Vorgänge bewusst zu machen (Kaluza, 2011). Dies ist etwas, was Sie bei Programmen zur Stressprävention lernen können. Auch ich biete Ihnen individuelle Beratungen zum Thema Stress an. Nehmen Sie einfach Kontakt mit mir auf.
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Literaturverzeichnis
Kaluza, G. (2011). Stressbewältigung. Trainingsmanual zur psychologischen Gesundheitsförderung (2., vollständig überarbeitete Auflage). Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag Berlin Heidelberg.
Reif, J. & Spieß, E. (2018). Wahrnehmung und Bewertung von Stressoren. In J. Reif, E. Spieß & P. Stadler (Hrsg.), Effektiver Umgang mit Stress. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.
Reif, J., Spieß, E. & Stadler, P. (Hrsg.). (2018). Effektiver Umgang mit Stress. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.
Schuler, H. (Hrsg.). (2004). Organisationspsychologie – Grundlagen und Personalpsychologie (Bd. 3). Göttingen: Hogrefe.
Zapf, D. & Semmer, N. K. (2004). Stress und Gesundheit in Organisationen. In H. Schuler (Hrsg.), Organisationspsychologie – Grundlagen und Personalpsychologie (Bd. 3). Göttingen: Hogrefe.
Bildnachweis
Ayo Ogunseinde