„Ich muss…“ und „Ich sollte…“ sind Wortgruppen, die an den meisten von uns immer mal wieder vorbei rauschen. Im Englischen werden entsprechende Sätze als musturbations bezeichnet1. Leider sind sie nicht ganz so lustvoll, wie das Wortspiel vermuten lässt. Ganz im Gegenteil:


Das weckt doch gleich beim Lesen bestimmte unlustbehaftete Empfindungen.

Sicher können solche Sätze in gewisser Weise dazu beitragen, dass wir uns überhaupt an die Aufgabe machen. Insbesondere im Hinblick auf Ziele, die weiter in der Zukunft liegen und für die eine gehörige Portion Durchhaltevermögen notwendig ist. Steht der motivationale Anspruch solcher Äußerungen im Vordergrund, können sie durchaus nützlich sein. Allerdings kann sich die Motivation schnell ins Gegenteil verkehren, wenn wir uns sehr häufig Ich-Muss- oder Ich-Sollte-Sätze sagen. Sie verwandeln sich dann in eine Art starren, verpflichtenden Zwang, der unsere Handlungsfreiheit einschränkt. Verpflichtungen bedeuten immer Druck, der auf uns ausgeübt wird. Wir werden dadurch selbst starr, bauen einen inneren Widerstand gegen die Verpflichtung auf und verlieren jegliche Lust an der Umsetzung. Das Muss hat unseren ursprünglichen Wunsch etwas umzusetzen in eine (scheinbar) unumstößliche Tatsache verwandelt. Wir bedenken nicht mehr, was passiert, wenn wir die Verpflichtung nicht erfüllen, sondern sind ganz darin versunken, diesem Anspruch hinterher zu hetzen, den wir möglicherweise über andere Wege erreichen könnten oder dessen Erreichung vielleicht gar nicht so notwendig ist, wie sie scheint.
Oftmals beziehen sich Mussturbationen übrigens nicht unbedingt auf unsere eigenen Ziele, sondern sind Vorstellungen, die wir aus gesellschaftlichen „Standards“ oder von anderen übernehmen2. Diese Ideen zeichnen sich zusätzlich durch ein „man“ vor dem „muss“ aus.

wäre ein Beispiel. Sicher ist es schön, wenn Menschen höflich zueinander sind, aber es ist nicht zwangsläufig in jeder Situation nützlich. Was sich für andere gut anfühlt, muss sich nicht unbedingt für uns selbst gut anfühlen.

Wie erkenne ich Mussturbationen bei mir?

Die meisten Menschen bemerken solche Ich-Muss-/Ich-Sollte-Sätze kaum, weil ihnen die Bedeutung dieser Formulierungen nicht bewusst ist. Sie sind durch diesen Beitrag natürlich nun schon einen Schritt weiter. Sie werden solche Äußerungen jetzt vermutlich deutlicher wahrnehmen, da Ihre Aufmerksamkeit im Moment darauf ausgerichtet ist. Doch es gibt noch andere Hinweise, ob derlei Sätze in Ihnen zugange sind2:

  • wenn Sie Ihre Aufgaben nur lustlos angehen und dabei merken, dass Sie es eher tun, weil andere Menschen dies zu erwarten scheinen
  • wenn Sie Aufgaben erledigen, um negative Folgen zu vermeiden, die durch das Liegenbleiben der Aufgabe entstehen könnten
  • wenn Sie merken, dass Sie sich bei Ihren Aufgaben selber sehr stark unter Druck setzen

Ein Selbst-Experiment zum Ausprobieren

Um sich die Wirkung von Worten wie „müssen“ und „sollen“ genauer vor Augen zu führen, suchen Sie sich eine für Sie typische Mussturbation heraus. Wenn Sie im Moment noch keine griffbereit haben, können Sie auch einen der Sätze nutzen, den ich eingangs erwähnt habe.


Also zum Beispiel: „Ich möchte abwaschen.“ oder „Ich möchte mein Studium schaffen.“. In der Regel hat es einen befreienden Effekt, da die Verpflichtung wieder zum Wunsch wird.
Wie fühlt es sich für Sie an?

Literaturverzeichnis

1 z.B. Ellis, A. (1997). Must musturbation and demandingness lead to emotional disorders? Psychotherapy: Theory, Research, Practice, Training 34 (1), 95–98. doi:10.1037/h0087779
2 Sauerland, M. (2018). Design your mind! Denkfallen entlarven und überwinden. Mit zielführendem Denken die eigenen Potenziale voll ausschöpfen (2. Aufl.). Wiesbaden Germany: Springer Gabler.